P. Hoppe u.a.: Universum Kleinstadt

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Titel
Universum Kleinstadt. Die Stadt Zug und ihre Untertanen im Spiegel der Protokolle von Stadtrat und Gemeinde (1471-1798)


Autor(en)
Hoppe, Peter; Schläppi, Daniel; Büsser, Nathalie; Meier, Thomas
Reihe
Beiträge zur Zuger Geschichte 18
Erschienen
Zürich 2018: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 38,00
URL
von
Adriano Boschetti

Aufgrund seiner Kleinräumigkeit und seinem Wohlstand bietet der Kanton Zug der historischen Forschung ein grosses Potenzial. Für kaum einen anderen Ort sind die Quellen so systematisch erschlossen. Das gilt beispielsweise für Urkunden, Jahrzeitenbücher, Orts- und Flurnamen, Kunstdenkmäler, Wohnbauten, Fundmünzen oder archäologische Funde. Trotzdem stellen sich die Archivverhältnisse in Zug heute nicht übersichtlicher dar als in anderen Kantonen. So befinden sich die Rats- und Gemeindeprotokolle der alten Stadt Zug im Besitz der Bürgergemeinde. Dieser Quellenbestand betrifft nicht nur die Stadt mit ihrem Untertanengebiet im Ennetsee (Cham, Hünenberg, Risch und Oberrüti) und in Walchwil, sondern auch die Beziehung der Stadt zu den drei gleichberechtigten Gemeinden des Äusseren Amtes (Aegeri, Menzingen und Baar). Die Protokollserie umfasst über 80’000 Einträge auf 17’500 Seiten in 50 Bänden. Die Einträge stammen aus dem Zeitraum 1471 bis 1798, wobei vor allem das 17. und 18. Jahrhundert mit 250 bis 560 Geschäften pro Jahr gut dokumentiert sind.

Die Denkmalpflege gab 1985 den Anstoss zur Erschliessung dieses wichtigen Bestandes. Das Projekt dauerte von 1989 bis 2012, die Kosten in Höhe von 3,8 Mio. Franken wurden gemeinsam von Stadt, Kanton, Korporation und Bürgergemeinde Zug getragen. Das Staatsarchiv steuerte die damals neu entwickelte Datenbank bei. Die Projektleitung lag bei Peter Hoppe, der von 1979 bis 2011 erster vollamtlicher Staatsarchivar war. Der Bearbeiter Viktor Ruckstuhl erstellte von jedem Protokolleintrag ein Regest mit Datum und allen genannten Orten und Personen und übertrug dieses in die Datenbank. Zusammengenommen lässt dies erahnen, wie innovativ und auf lange Sicht angelegt das Vorhaben bei seiner Initiierung vor dreissig Jahren war.1 Die Datenbank ist heute vor Ort im Staatsarchiv Zug verfügbar, online jedoch leider nur auszugsweise zu konsultieren, weil der ehemalige Staatsarchivar vor der Veröffentlichung alle Einträge persönlich kontrollieren und korrigieren will. Das Erschliessungsprojekt ist daher noch nicht an seinem Ziel, dem vollständig «freien» digitalen Zugang, angelangt.

Das grosse Fachwissen von Peter Hoppe hat es nun ermöglicht, für den anzuzeigenden Band gezielt Themen auszuwählen, die sich für eine erste Annäherung und inhaltliche Präsentation der Protokolle eignen. Auf dieser Grundlage haben Peter Hoppe zwei, Daniel Schläppi vier sowie Nathalie Büsser und Thomas Meier je einen Aufsatz zu dem Band beigesteuert. Selbstredend beruhen die Themen der Beiträge auf den Inhalten der Protokolle, wie etwa im Aufsatz von Peter Hoppe zur öffentlichen Jahres- und Festtagsagenda sowie zu den Medien, derer sich die Obrigkeit bediente – vom Glockenschlag über das Ausrufen bis zum Aushang. Sie vermitteln lebensnahe Alltagsbilder aus der katholischen Zentralschweiz, wo Staat und Kirche untrennbar verwoben waren.

Nathalie Büsser geht der Frage nach, wie die Stadt ihre Herrschaft über die sechs Vogteien aufbaute – de facto handelte es sich bei dieser eher um ein «Portefeuille unterschiedlicher, mitunter landesherrlicher Rechte, Besitztitel und Güter». Der exemplarische Streit an der Buonaser Kilbi 1710 lässt sich nicht leicht mit herkömmlichen Konzepten erklären, weil kein simpler Antagonismus zwischen der Stadt als Landesherrin und der abhängigen Landschaft bestand. Anschaulich wird dies durch Büssers Darstellung der konkreten Rollen und Interaktionen der Beteiligten, einerseits der Obervögte, die in der Regel aus den Reihen der Stadtzuger Burger gewählt wurden, und andererseits der Untervögte, die aus den Reihen der lokalen Gemeinwesen kamen. Aufschlussreich sind auch ihre Überlegungen zur Bedeutung der Kartografie für die Herrschaft am Beispiel der Zuger «Vogteienkarte» von 1771.

Thomas Meier richtet seinen Blick ebenfalls über die thematischen Grenzen der Protokolle hinaus und untersucht die Ausgrenzung von Hinter- und Beisassen, Armen und Fremden. Wie andernorts schotteten sich die städtische Gesellschaft, aber auch die lokalen Gemeinwesen im Verlauf des Ancien Régime zusehends ab. Thomas Meiers Analysen sind ebenso erhellend wie jene von Daniel Schläppi in dessen Aufsatz zur Wirtschaftspolitik, gerade auch für das Verständnis des heutigen Kantons Zug. So zeigt sich, dass das «ostentativ sparsame Verwaltungshandeln» im Kanton Zug seinen Ursprung in einem auf strukturelle Knappheit angelegten und landwirtschaftlich geprägten Gemeinwesen hat.

Zwei weitere Aufsätze von Schläppi zum Zuger Verwaltungsalltag und zur Streitschlichtung sind weitaus stärker vom Quellencharakter der Rats- und Gemeindeprotokolle geprägt. Die schiedsgerichtliche Tätigkeit des Rates, dessen Bemühungen um Streitschlichtung man heute als Mediation bezeichnen würde, war offenbar stark von praktischer Vernunft geprägt, wie Schläppi ausführt: Das zeigt sich unter anderem darin, dass Strafen eher angedroht als vollstreckt wurden. Schläppis bisweilen anekdotischer Blick auf das Wirken der Kirchenpflege in dessen letztem Beitrag offenbart nicht nur bis heute vorhandene Konfliktlinien zwischen Kirche und Staat. Es manifestiert sich auch – notabene im katholischen Zug – ein Bemühen des Rates um Mässigung, dem der individuelle Wunsch nach Distinktion mittels privater Kirchenstühle entgegenstand.

Die Idee des Bandes überzeugt, anhand dieser acht Beiträge das Potenzial der Ratsund Gemeindeprotokolle der Stadt Zug für die Geschichtswissenschaft aufzuzeigen. Die sorgfältige Gestaltung des Buches trägt zum positiven Gesamteindruck bei. Die Abbildungen sind zum Teil informativ (etwa Abb. 2 mit verschiedenen Schriftbildern aus den Ratsprotokollen), zum Teil erscheinen sie eher als eingestreute Illustrationen. Die Beiträge weisen nur wenige Redundanzen auf, etwa zur Schriftlichkeit, zur Streitschlichtung oder zur sozialen Grenzziehung. Zugleich zeigen sie, dass die Ratsprotokolle allein, so vielfältig ihre Inhalte auch sind, dank ihrer grossen Zahl und des grossen Zeitraumes einen fokussierten Blick auf die Zuger Geschichte zulassen. So ist in den Protokollen offenbar wiederholt von der Vogeljagd die Rede: Schlaglichtartig deutet sich beispielsweise hier an, dass vertiefte Einblicke in die konkreten Lebensverhältnisse möglich sind. Die Aussagekraft der Quellen wird je nach Fragestellung durch die Verknüpfung mit anderen Beständen zu erweitern sein. Besonders gilt dies für den Bereich der Baugeschichte, der auffallenderweise im Band nicht berücksichtigt ist, aber auch für Bildquellen oder die Archäologie. Dem Buchumschlag zufolge veranschaulicht «Universum Kleinstadt» exemplarisch die Möglichkeiten der «Digital Humanities». Dem ist zuzustimmen und zugleich ist zu hoffen, dass diese damit noch lange nicht ausgeschöpft sind.

1 Vgl. Tugium. Jahrbuch des Staatsarchivs des Kantons Zug, des Amtes für Denkmalpflege und Archäologie, des Kantonalen Museums für Urgeschichte Zug und der Burg Zug 7 (1991), S. 7–15.

Zitierweise:
Adriano Boschetti: Peter Hoppe, Daniel Schläppi, Nathalie Büsser, Thomas Meier: Universum Kleinstadt. Die Stadt Zug und ihre Untertanen im Spiegel der Protokolle von Stadtrat und Gemeinde (1471–1798), herausgegeben vom Historischen Verein des Kantons Zug, Zürich: Chronos, 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 2, 2019, S. 327-329.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 2, 2019, S. 327-329.

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